Ende der Pilzsaison 2021 – und Gedanken zum Tod

Am siebten November hatte ich, durchgefroren nach einer einstündigen Radfahrt vom Wald zurück nachhause in der Dunkelheit, die Pilzsaison dieses Jahres für mich als beendet erklärt. Danach folgte noch ein Zufallsfund. Zeit, ein Resümee zu ziehen.

2021  – das Jahr, in dem die Pilzlerin in mir wieder auferstanden ist. Nach einem Refresher-Kurs bei meiner Familie und zwei Exkursionen mit Pilzexperten, fühle ich mich schon wieder sicher genug, um alleine sammeln zu gehen (und den Fund dann auch zu essen).

Was ich dieses Jahr so gefunden habe:

Totentrompeten

Okay, die habe ich nicht selber gefunden, sondern bekam den Quadratmeter, auf dem sie wachsen gezeigt. Somit konnte ich zweimal einfach nur abernten. Beim letzten Aufsuchen der Stelle, war schon alles mit feuchtem Laub bedeckt und die Pilze nicht mehr auffindbar. Schade, denn sie sind so ziemlich das Leckerste, was ich bis jetzt an Pilzen gegessen habe.

Diverse Röhrlinge

Die „Klassiker“ und die Pilze, die meine Eltern hauptsächlich sammeln. Man kann hier nicht so viel falsch machen, sollte sich natürlich aber keinen Satanspilz in den Korb legen.

Beim Braten werden die ziemlich schleimig. Ich weiss nicht, ob man sinnvollerweise etwas anderes als Pilzragout daraus machen kann.

Reizker

Die landen bei meinen Eltern auch mit im Ragout. Bei einer Pilzexkursion habe ich erfahren, dass die beste Zubereitungsart wohl sei, sie wie ein Schnitzel in der Pfanne zu braten. Ich habe es probiert und dennoch… ich mag sie nicht. Sie sind mir zu parfümig, irgendwie blumig. Und vom Aufwand her auch nervig, da allerlei Dreck an dem schleimigen Hut kleben bleibt. Ich werde die wohl in Zukunft einfach stehen lassen.

Stäublinge

Meinen ersten richtig grossen Fund hatte ich entsorgt, da ich ihn nicht eindeutig bestimmen konnte. In meinem Pilzbuch waren nur die Flaschenstäublinge beschrieben und ich hatte Birnenstäublinge gefunden, wie ich Wochen später bei der Pilzexkursion erfuhr. Später fand ich noch einen einzelnen Flaschenstäubling, den ich anbriet. Der Geschmack war sehr intensiv pilzig, nicht schlecht.

Lacktrichterline

Zwischenzeitlich war mein Partner wenig begeistert angesichts meiner ständigen grösseren Funde, da er gelesen hatte, diese Pilze würden radioaktive Elemente aus den Böden akkumulieren (die auch hier vorkommen können wegen der Wolke damals aus Tschernobyl). Eine Pilzexpertin hat uns dahingehend beruhigt – erstens müsse man da schon täglich Pilze essen (was auch auf vielen Internetseiten erwähnt wird) und zweitens seien Maronenröhrlinge diesbezüglich viel schlimmer. Die ich ja auch noch mitnehme… aber ich habe beschlossen, mir die Freude am Pilzesammeln nicht durch Ängste bezüglich irgendeiner Schadstoffbelastung nehmen zu lassen.

Die Lacktrichterlinge sind jedenfalls meine besten Freunde. Wenn man auch sonst nichts findet, ein paar von denen gibt es überall. Natürlich muss man schon ganz schön viele sammeln, damit es mindestens für eine aromatische Beilage zum Beispiel zu Pasta reicht. Und das kann zeitaufwändig sein, zumal ich für jeden der kleinen Pilze die Farbe der Lamellen und den Geruch überprüfe, um nicht seinen giftigen Doppelgänger, den Rettichhelmling einzupacken.

Nebelkappen

Das war mein letzter Fund, nachdem ich die Saison schon für beendet erklärt hatte (was sie auch definitiv ist, da nämlich keine Pilzkontrollstellen mehr offen haben). Mir half von Ferne eine Pilzexpertin dabei, sie zu bestimmen und wies mich auch darauf hin, dass diese ein Magen-Darm-Gift enthalten, das aber herausgekocht werden kann.

Meine weitere Internet-Recherche brachte hervor, dass in Tierversuchen durch den Pilz Lungenödeme und Krebs verursacht wurden durch das darin enthaltene Nebularin. Darauf, dass die karzinogenen Stoffe auch herausgekocht werden, wollte ich mich nun wirklich nicht verlassen und habe den grossen Fund entsorgt.

Und was ich durch das Pilzesammeln über mich selbst herausgefunden habe:

Zunächst mal – und das war keine grosse Überraschung – wie sehr es mich entspannt, durch die Wälder zu streifen. Vor allem an sonnigen Tagen könnte ich das stundenlang machen. Und das Pilzen hilft mir dabei, mir diese Auszeit in der Natur auch zu gönnen. Denn einfach nur ziellos, ohne etwas zu suchen, würde ich wohl kaum durch den Wald laufen. Zumindest nicht in einem Tempo, in dem ich die Eindrücke auch geniessen kann. Oder anders: entweder Sport oder Pilzesammeln ziehen mich in den Wald. Ein langsamer Waldspaziergang hingegen würde für mich genausowenig funktionieren wie Meditation. Ich kann nicht einfach abschalten, nicht nichts tun, dafür bin ich innerlich viel zu unruhig. Was hingegen funktioniert ist, meine Aufmerksamkeit vom Negativen, etwa Gedanken um den permanenten Stress auf Arbeit, abzulenken, indem ich mich auf etwas ganz anderes wie etwa Pilzefinden konzentriere.

Ausserdem dass ich mich, da ich nun über einige Pilze genügend Wissen habe, durchaus traue, diese zu essen und andere mitessen zu lassen. Sprich, dass ich meinem eigenen Urteil vertraue und mich nicht lähmen lasse von irrationalen Ängsten, ich könnte mich selbst bei mir gut bekannten Pilzen noch geirrt und etwas Falsches eingepackt haben.

Auch habe ich gelernt, dass ich scheinbar doch ziemlich am Leben hänge. Schon einige Male, war ich ziemlich sicher, einen Speisepilz gefunden zu haben, aber eben einen von denen, die ich nicht schon seit der Kindheit kenne, weil meine Eltern  aus Vorsichtsgründen nur wenige Lamellenpilze gesammelt haben. Die kleine verbleibende Unsicherheit hat mich schliesslich doch bewogen, diese Pilze nicht zu essen. Obwohl wir jede Sekunde unseres Lebens in Gefahr sind, sind wir uns dessen so gut wie nie bewusst. Wenn du aber einen Pilz vor dir hast und dir ausmalst, du könntest daran sterben … Das Schlimme wäre ja nicht, was ich dann alles Schönes noch verpassen würde. Das Schlimme wäre, was es in den Leben derer machen würde, denen ich wichtig bin. Und dass ich mich später nicht mehr um die kümmern könnte, die ich eigentlich hätte überleben sollen.

Vielleicht mag es gewisse Menschen schockieren, wenn ich zugebe, dass ich in erster Linie aus Rücksicht auf meine Nächsten am Leben hänge. Zumal ich  – abgesehen vom Dauerstress – ja nun wirklich noch nichts auszustehen habe. Für mich jedoch reicht es als Grund und das ist entscheidend. Ich würde mich deshalb nicht einmal unbedingt als depressiv beschreiben. Wohl eher als nihilistisch. Natürlich freue ich mich auf den nächsten Besuch bei meinen Eltern, auf die nächste Halloweenparty, … aber irgendwann, wenn meine Eltern nicht mehr sind, wird es ohnehin keine solchen Besuche mehr geben und irgendwann wird es für mich die letzte Halloweenparty gewesen sein. Irgendwann bin ich tot und verpasse darum sowieso einfach alles. Setzt man es in Relation zu der Unendlichkeit, die ich verpasse, spielt es also kaum mehr eine Rolle, wie früh oder spät ich sterbe.

Ich wünschte, ich würde an einen Himmel oder ein Leben nach dem Tod glauben, aber ich tue es nicht und Glauben kann man nicht erzwingen. Die logische Konsequenz daraus ist für mich einerseits, dass ich nur versuchen kann, zu Lebzeiten, möglichst viel in anderen zu bewirken, damit sie etwa verstehen, dass wir nicht weiterhin unsere Mitlebewesen so grausam behandeln dürfen. Und andererseits – da ich mich nun mal eher als Nachtschattengewächs betrachte – nicht carpe diem, sondern carpe noctem, oder am besten eigentlich beides.

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