Mitleid mit Wanzen?

Seit sechs Wochen bin ich nun im neuen Job, Luftlinie etwa 40km entfernt von zuhause. Trotz dieser relativen Nähe, weist die Fauna bereits deutliche Unterschiede auf. In Form von Wanzen.

Schon am ersten Tag wurde ich gewarnt, dass es im Sommer zu einer regelrechten Käferplage komme. Mittlerweile frage ich mich echt, wie schlimm das wird. Denn besagte Käfer (bei denen es sich entweder um die Stinkwanze oder um die amerikanische Kiefernwanze handeln dürfte) gibt es schon jetzt (oder immer noch?) in unseren Büroräumlichkeiten. Zwischen ein und drei Stück pro Tag. Das erfüllt jetzt schon meine höchstpersönliche Definition von «Plage».

Wenn sie einfach nur stumm irgendwo in der Ecke kauern würden, wäre es ja halb so schlimm. Aber sie fliegen und zwar besonders gern hoch zu unseren Deckenlampen, wo sie dann herumkrabbeln. Und in mir die ständige Angst auslösen, dass sich plötzlich so ein Biest in meine Haare fallen lässt.

Nein, diese Angst ist nicht irrational. Unserem CEO ist das nämlich bereits passiert.

Wenn man sie kurz erfolgreich ignoriert hat, machen sie sogleich wieder auf sich aufmerksam, indem sie surrend rumflattern. Das ist lauter als das nervige Gesurre von Schmeissfliegen. Echt nervig.

Zum Glück ist meine Arbeitskollegin nicht so heikel und befördert die meisten Eindringlinge nach draussen. Sie ist aber nicht immer da. Ich habe in solchen Fällen schon männliche Kollegen damit beauftragt, die Extraktion vorzunehmen. Unser IT-Leiter ist dafür mit dem Staubsauger angerückt. Gute Idee, dachte ich, wenn der nicht so weit von unserem Büro entfernt wäre, um ihn drei Mal täglich durchs halbe Gebäude zu schleppen.

Jedenfalls erzählte ich das meinem Partner und daraus ergab sich eine philosophische Diskussion darüber ob das Leben von Insekten schützenswert sei. Das ist zumindest seine Meinung.

Mir hingegen kommt es paradox vor, warum er einerseits immer noch ab und zu Fleisch und andere Tierprodukte essen kann und andererseits keine Insekten tötet. Meiner Meinung nach ist es viel schlimmer, wenn man Wesen mit Bewusstsein tötet (auch indirekt, indem man sie von der Tierindustrie töten lässt) als ein Insekt.

Mein Partner hielt dagegen, dass wir ja gar nicht genau wissen, ob Insekten ein Bewusstsein haben und auch nicht, ob sie Schmerz nicht genauso stark wahrnehmen wie Wirbeltiere. Touché. Da hat er durchaus Recht.

Und wenn ich ehrlich zu mir bin, ist ein Schmetterling auch nicht weniger als Insekt als eine Wanze. Trotzdem käme es mir nie in den Sinn, einen zu töten. Entscheidend dafür, ob ich Mitleid mit einem Wesen empfinde oder nicht, ist also vielfach auch der Ekelfaktor. Spinnen, Würmer, Wanzen, alles, was mir die Nackenhaare aufstellt, kann ruhig sterben…

So ganz okay ist das schon nicht, zugegeben. Wäre ich als Wanze geboren (oder wohl eher «geschlüpft»), würde ich das sicher auch ganz anders sehen. Das hielt ich mir vor Augen, als sich am Freitag der nächste Besucher nur einen halben Meter entfernt von mir niederliess. Der verhielt sich wenigstens still.

So gross auch die Verlockung sein mag, Spinnen oder Käfer aus sicherer Entfernung mit dem Staubsaugerrohr zu entfernen … ich nehme mir vor, zukünftig meinen Ekel herunterzuschlucken und die Viecher unbeschadet nach draussen zu bugsieren. Natürlich nicht ohne vorher sicherzustellen, dass ich diese widerliche Aufgabe nicht irgendjemand anderem aufhalsen kann 😉

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